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Wolfgang Spanier, There is space for a pool

Wenn ich versuchen möchte, die Arbeit von Wolfgang Spanier für das “Hinterzimmer des Architekten” in einigen wenigen Worten zu beschreiben, würde ich vielleicht sagen: eine Sequenz von längsformatigen Fotografien mit der Darstellung schwimmender Mädchen. Die Haltung der Figuren und deren räumliches Umfeld sprechen tatsächlich für einen solchen Eindruck, sehen wir doch jeweils ein junges Mädchen in ausgestreckter Haltung und das bläulich bis grüne Wasser eines Swimming-Pools. Schnell erweist sich jedoch die Irrtümlichkeit dieser Beschreibung. Es ist ja kaum zu übersehen, dass die jungen Mädchen vollständig bekleidet und überhaupt nicht nass sind. Sie scheinen vielmehr über dem Wasser zu schweben, wenn auch die angedeuteten Bewegungen der Arme und Beine ein schwimmendes Gleiten durch das Bassin suggerieren. So vermittelt sich eine erste Irritation. Figur und Raum sind offenbar zwei unterschiedlichen zeit-räumlichen Ebenen entnommen und für die hier gezeigten Szenen zusammengeführt worden. Bei näherer Betrachtung stellt sich dann heraus, dass die ausgestellten Photo-Prints nur jeweils zwei junge Mädchen in ganz unterschiedlichen Bewegungsstadien zeigen. Zusammen geschaut, binden sie sich wie Stills in einen filmischen Kontext ein, der allerdings gleichermaßen gebrochen ist. Die einzelnen Momente dieser Sequenz lassen sich nicht kohärent zusammenfügen. Zudem ist ein Teil der Bilder auf dem Boden liegend ausgestellt. Durch zwei milchig diaphane Polyesterwände werden sie aus dem Ausstellungsraum ausgeschnitten und durch diese Distanzierung gewissermaßen „auf den Sockel“ gestellt. Der Künstler scheint durch diese Abgrenzung nochmals – in eine räumliche Installation übersetzt – das Motiv des Pools aufzugreifen. So vermittelt sich der Eindruck, man blicke selbst in zwei kreisförmige, mit Wasser angefüllte Bassins, die doch immerhin einen Großteil des nicht allzu weit läufigen Raumes für uns verstellen und uns in eine Randposition verdrängen. Der Künstler besetzt mit seiner Installation den eigentlichen Mittelpunkt des Raumes und behauptet so für seine künstlerische Position einen ganz zentralen Stellenwert innerhalb des Architekturbüros. Ehe wir die Konsequenzen dieser Verortung weiter untersuchen, wenden wir uns nochmals den in Lebensgröße wiedergegebenen Mädchenfiguren der Photo-Prints zu. Die Anbringung an den Wänden nimmt exakt die Oberkante der in den Raum eingebrachten Polyesterwände auf. Über diese Bezugnahme wird es vorstellbar, der Ausstellungsraum selbst sei bis zur Höhe dieser Wände mit Wasser angefüllt, vielleicht mit einer Substanz, die nicht unbedingt nass macht, sind wir selbst doch wie auch die Mädchen – so hoffe ich zumindest – vollständig trocken, im Hinblick auf die mögliche Durchnässung aber immerhin doch ziemlich verunsichert. Versetzen wir uns nun in den Herstellungsprozess dieser Fotografien, so wird klar, dass die Mädchen, die hier als Modelle gedient haben, bei einer Art Trockenschwimmübung auf einem Stuhl liegend fotografiert wurden. Das WorldWideWeb lieferte dem Künstler bei der Recherche nach unterschiedlichen Typen von Swimming-Pools das Bildmaterial für das jeweilige Umfeld. Die niedrige Auflösung der großgezogenen Bilder vermittelt diesen – im Kontrast zu den höchst scharf gezeichneten Gestalten – eine diffus-verschwimmende Wirkung, was ja durchaus der raum-zeitlichen Widersprüchlichkeit dieser Szenen entspricht. In den Vordergrund treten die farblichen Reflexe der Wasseroberfläche, changierend zwischen unterschiedlichen Blau-Grün-Werten sowie die geometrische Gestalt des eigentlichen Pools. Ovale stehen rechteckigen Abgrenzungen gegenüber. In einigen Fällen bleibt der äußere Rand des Bassins ausgeblendet, so dass die Gestalt vor einer monochrom flirrenden Farbfläche zu schweben scheint. Während also der raum-zeitliche Kontext, damit auch unsere Erfahrungswerte in der Begegnung mit der Alltagswelt außer Kraft gesetzt sind, scheint sich hier auf einer anderen Realitätsebene eine neue Verknüpfung anzubahnen. Die Photo-Prints zeigen Gestalten in einer Art von Schwebezustand, imaginär eingetaucht in ein flottierendes, substantiell nicht greifbares Farbkontinuum, das nur in einigen Fällen als Behältnis klar nach außen abgrenzbar ist und das über die beiden räumlichen Versatzstücke uns selbst in unserem Empfinden tangiert. Dabei können wir nicht endgültig entscheiden, ob die Mädchenfiguren tatsächlich in diese amorphen Gebilde eingetaucht sind, ob sie über ihnen schweben in einer Art Trance oder Entrückung, vielleicht aber auch geborgen, einer Gebärsituation vergleichbar, vollständig umschlossen werden,. Eine mögliche Assoziation führt uns die Swimming-Pool-Gemälde von David Hockney vor Augen, mit denen dieser in den 60er-Jahren hervorgetreten ist. Die in das Blau eintauchenden – hier allerdings meist nackten und männlichen Körper – versetzen uns in der Realität entrückte Traumsequenzen, die Unbewusst-Unwirkliches, vielleicht auch sexuelle Fantasien zu offenbaren scheinen. Durch raum-zeitliche Entgrenzung und die Erweiterung der Photo-Prints zur Installation schafft Wolfgang Spanier eine noch weitergehende Eindringlichkeit und Unmittelbarkeit. Die Konzepte von Innen und Außen, Verkörperung und Entkörperlichung sind unauflösbar ineinander verworren, nicht mehr begrifflich-logisch zu differenzieren, um uns als Betrachter dieser Installation körperhaft und gefühlsmäßig weitestgehend in Anspruch zu nehmen. Bevorzugt dringt Wolfgang Spanier mit seinen künstlerischen Projekten und Interventionen in den öffentlichen Raum, folglich in die soziale Lebenswirklichkeit vor. Der Künstler verknüpft Bild und Schrift, er montiert Bilder mit unterschiedlichen Bezügen zur Realität. Hierdurch vermitteln sich Widersprüche, Spannungen, Brüche, die beim Betrachter nicht vorzubestimmende Gedankengänge und Reaktionsweisen provozieren. Das Prinzip der Montage evoziert ein Stilmittel des frühen Stummfilms, theoretisch formuliert von Sergej Eisenstein: „Meiner Ansicht nach ist […] Montage nicht ein aus aufeinander folgenden Stücken zusammengesetzter Gedanke, sondern ein Gedanke, der im Zusammenprall zweier voneinander unabhängiger Stücke ENTSTEHT.“ Nach Eisenstein aktivierte die Montage also nicht nur das sinnliche Erleben, sondern regte auch höhere Bewusstseinsschichten an. Das vollkommen Neue an der Eisensteinschen Montageform war das starke Interesse an konträren Einstellungen. In der idealen filmischen Erzählfolge sollte jeder Schnitt eine Art kurzzeitigen Schock hervorrufen. Eisensteins Montage setzte auf Kollision, nicht auf Einheit. Diese sogenannte Kollision zwischen aufeinander folgenden Einstellungen, von ihm auch oftmals als „Konflikt“ bezeichnet, zeigte sich beispielsweise in den Parametern Tiefenschärfe, Einstellungsgröße oder Beleuchtungsstil. Eine solche Kollision entsteht auch durch das Einbringen eines künstlerischen Projekts in einen Ort, der nicht institutionell hierfür vorbestimmt ist. Ein solcher Ort ist eben auch das „Hinterzimmer des Architekten“, in dem Wolfgang Spanier selbstbewusst sein künstlerisches Programm zur Anschauung bringt. „There is space for a pool“ – Hier wird etwas installiert, das nicht reinem Zweckrationalismus gehorcht, eher schon einem gewissen Luxusbedürfnis entspricht, auf jeden Fall aber doch als Lebensnotwendigkeit zu gelten hat, wenn man sich nicht gerade mit Leib und Seele einem Wirtschaftsliberalismus McKinseyscher Prägung verschrieben hat. Damit verbindet sich ein Postulat, zielt der Künstler doch darauf, künstlerische Projekte nicht als schmückendes Beiwerk – als sogenannte „Kunst am Bau“ – wie ein Feigenblatt in bereits vollendete Tatsachen einzubringen, vielmehr konzeptionell mit Architekten, Landschafts- und Stadtplanern zusammenzuarbeiten und gemeinsam mit diesen unseren Lebens- und Erfahrungsraum zu gestalten. Gleichsam modulhaft wird dies in den einzelnen Versatzstücken eines sich immer weiter entwickelnden künstlerischen Projekts spür- und sichtbar, durchexerziert in der Zusammenarbeit mit den immer gleichen 7 Modellen, in immer neuen Situationen, Verknüpfungen und Versuchsanordnungen. Traumwandlerisch, an Busstationen wartend, oder auch bei der Fahrt durch die Röhre eines U-Bahntunnels vergegenwärtigen sich uns dabei immer neue Ebenen zwischen Unter- und Wachbewusstsein, Vorschein einer Zukunftswelt, deren Konstruktion sich nicht zuletzt die Architekten verschrieben haben. Bleibt zu hoffen, dass es dabei bleibt: „There is space for a pool“. Rede von Christoph Kivelitz, Dortmund, 5.2.2007